Chronische Wunden bedeuten für Betroffene eine enorme Einschränkung der Lebensqualität. Dr. med. Martin Wiewiorski setzt bei der Behandlung auch auf ein kleines, mobiles System, das mit Unterdruck arbeitet.
Was sind die häufigsten Ursachen für chronische Wunden? Und welche Problematiken sind damit verbunden?
Chronische Wunden können eine Vielzahl von Ursachen haben, etwa Durchblutungsstörungen. Am häufigsten sehe ich in meiner orthopädischen Fuss-Sprechstunde Patienten, die im Rahmen des Alterszucker (Diabetes) an chronischen Wunden im Fussbereich leiden (diabetischer Fuss). Verletzungen werden häufig nicht erkannt, es entwickeln sich chronische Wunden, die im schlimmsten Fall zu Amputationen von Teilen oder des gesamten Fusses führen können. Unabhängig von der Ursache kommt es bei den Patienten häufig zu einer verzögerten Heilung oder Nicht-Heilung der Haut. Im schlimmsten Fall können die Bakterien aus der Wunde in das umgebende Gewebe eintreten und eine Infektion hervorrufen. Gelangen die Bakterien in den Blutkreislauf, können potenziell ernsthafte Krankheitsverläufe auftreten, die bis zum Schockzustand und Tod führen können. Zudem haben Betroffene oft unter Stigmatisierung zu leiden.
Wie werden Wunden behandelt?
Zunächst gilt es jegliches infizierte und tote Gewebe chirurgisch mechanisch abzutragen und die Wunde zu spülen. Genauso wichtig ist das gleichzeitige Feststellen und wenn möglich Beseitigen der verursachenden Faktoren. Für die lokale Wundbehandlung mit Verbänden gibt es zahlreiche Substanzen und Verbandmaterialen. Ziel ist es, zum einen die Bakterienanzahl auf der Wunde zu reduzieren und totes Gewebe zu entfernen. Und zum anderen die heilende Wunde nicht zur sofortigen Austrocknung zu bringen. Überschiessendes Wundwasser muss zwar von der Wunde abtransportiert werden, gleichzeitig möchte man den Wundgrund feuchthalten, um den natürlichen Wundheilungsprozess zu unterstützen.
Bei der Behandlung setzen Sie auch auf die Unterdruck-Wundtherapie.
Richtig, dahinter steckt ein Konzept, das seit den 1980-Jahren erfolgreich angewendet wird. Die Grundprinzipien der Niederdruck-Wundtherapie sind gut erforscht. Der Unterdruck an der Wunde und dem umgegebenen Gewebe führt zu Neubildung von Gefässen, Bildung von neuen Ersatzgewebe und Reduktion der Schwellung durch Abtransport der Lymphe, Zusammenziehen der Wundränder und einem effektiven Management der Wundflüssigkeit. Hierfür gibt es neben klassischen Pumpen auch sogenannte kanisterlose Geräte, die bei Wunden mit wenig oder mittelgradiger Sekretion angewendet werden können.
Was ist der Unterschied?
Klassische Pumpen sind deutlich schwerer, der Akku muss häufig an der Steckdose geladen werden. Die Wundauflagen kleben an der Wunde, was die Wechsel für den Patienten unangenehm oder schmerzhaft gestaltet. Häufig sind bei grösseren Wunden Teil-Narkosen für Verbandswechsel notwendig. Das kanisterlose Unterdruck-Wundtherapiesystem ist ein leichtes, mobiles System zur Einmalanwendung. Es besteht aus einem selbstklebenden Wundverband, welcher über einen Schlauch mit einer kleinen Pumpe konnektiert ist. Diese wird von zwei AA-Batterien aktiv betrieben und baut für eine Woche einen voreingestellten Unterdruck auf. Der Wegtransport der Flüssigkeit erfolgt hier zu 80 Prozent über den Verband selbst, daher ist kein Kanister notwendig. Wichtige Aspekte sind hier die Reduktion der Spannung auf den Wundrändern um 45 bis 70 Prozent und die Verbesserung des Lymphabflusses. Eine zusätzliche Auffüllung oder Abdeckung der Wunde ist meist nicht notwendig. Die Behandlung erfolgt entweder stationär oder ambulant bis zur vollständigen Wundheilung, welche je nach Wundart und -grösse nach vier bis 16 Wochen erreicht ist.
Wie effektiv ist die Anwendung?
Im Jahr 2019 erschien eine Studie, welche die Behandlung von chronischen Wunden aufgrund von venösen Abflussstörungen und diabetischen Fuss-Geschwüren untersuchte. Die Patienten wurden zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhielt die klassische, die andere die kanisterlose Unterdruck-Wundtherapie. Nach Ablauf von zwölf Wochen zeigte die Behandlung mittels dem kanisterlosen System eine signifikante Verkleinerung von Wundfläche, -tiefe und -volumen. Die Zahl der Patienten, bei welchen innerhalb dieser Zeit ein Wunschverschluss erzielt wurde, war in diese Gruppe um 51 Prozent höher. Zudem musste der Verband weniger häufig gewechselt werden. Ein weiterer Aspekt, der zusätzlich zur hohen Patientenakzeptanz beiträgt.